«Ob es denn nicht ein einfacher Suizid sein könne», dachte sich Kurt Wenger bei seinem ersten Einsatz. Er wurde zu einem mutmasslichen Tötungsdelikt in Lyss gerufen. Erst nach seiner Untersuchung stellte sich dann heraus, dass es sich um einen natürlichen Tod handelte. Vergessen würde er seinen ersten Einsatz dennoch nie. Mittlerweile hat er viel Erfahrung als Kreisarzt. Denn nichts ist so sicher wie der Tod. Fast täglich wird er zu einem Fall gerufen, manchmal hat er sogar bis zu fünf Einsatze an einem Tag.
Kurt Wenger ist 77 und wäre eigentlich schon lange pensioniert. Trotzdem möchte er weiter als Kreisarzt tätig sein. Einerseits bedingt durch ein grosses Interesse an diesem Fachgebiet, andererseits auch durch die Teamarbeit, die ihm so entspricht. Er arbeitet meist mit einem Kriminalbeamten und einem Kriminaltechniker zusammen. Für Kurt Wenger, der vorher seine Hausarztpraxis allein geführt hatte, eine willkommene Neuerung.
Als freier Mitarbeiter wird er jeweils zu allen Fällen gerufen, wo ein unklarer oder nicht natürlicher Todesfall vorliegt. Seine Aufgabe ist es dann zu beurteilen, ob jemand eines natürlichen oder eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Dazu untersucht er nicht nur die Leiche, sondern sucht auch nach Hinweisen in der Umgebung. «Ist eine Wohnung zum Beispiel von innen verschlossen, handelt es sich in den meisten Fällen nicht um ein Verbrechen». Am Schluss der Untersuchungen wird jeweils die Körpertemperatur gemessen, um den Todeszeitpunkt zu bestimmen. Dies funktioniert aber nur die ersten 24-36 Stunden nach Eintreten des Todes, da die Körpertemperatur danach der Aussentemperatur entspricht.
Kurt Wenger hat schon einige filmreife Einsätze erlebt. Am Abend vor der Aufnahme des Podcasts rief man ihn an die Aare, wo die Polizei eine Wasserleiche geborgen hatte. Aufgrund von roten Spuren am Hals ging der Kreisarzt zunächst von einem Tötungsdelikt aus. Erst nach Aussagen von Zeugen wurde klar, dass es sich um einen Suizid handelte. Mehrere Menschen hatten beobachtet, wie der Mann sich eine Schlinge um den Hals gelegt hatte und von einer Brücke gesprungen war.
Eine solche Arbeit ist emotional belastend. Vor allem wenn Kinder involviert sind und er mit den Angehörigen sprechen muss, bringt ihn die Arbeit an seine Grenzen. Es ist wichtig, einen gewissen Abstand zu schaffen. Dabei hilft ihm das Gespräch mit seiner Frau. «Sie ist mein Blitzableiter.» Und wenn sie einmal eine Geschichte nicht hören will, geht Kurt Wenger mit seinem Hund in den Wald und erzählt ihm von seiner Arbeit.